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Pressestimmen, Kritiken - zu Remas Haus

 

Daniela Fürst in Buchkultur Nr. 105, Wien, Juni 2006:

"Die Briefe, die ich ihnen schreibe, sind die einzige Verbindung nach draußen." Es sind die Briefe eines namenlosen Protagonisten, der aus seinem selbst gewählten letzten Zimmer heraus Zeugnis ablegen will über die Stadt seiner Kindheit, seine Flucht daraus, das Leben seiner Mutter und seine Liebe zu Rema. Langsam und behutsam, um nur ja die Gunst der/des Lesenden nicht zu verlieren, erzählt er von seinem Leben, das ihn zu dem gemacht hat, was er jetzt ist und ihn so für Rema vorbereitet, zugeschnitten oder sogar vorbestimmt hat. "Mein Zimmer hier hat ein einziges Fenster, und das entschädigt mich für alles. Ich sehe, was ich sehen muss: Remas Haus."
Ein gefallener dreiflügeliger Engel bildet das Fundament für das Haus, jenen surrealen Ort, an dem Rema lebt. Dort beschützt und bewacht vom Milchkoch, der ständig gegen ihre Verunreinigung kämpft, überzieht und tränkt sie alles mit ihrer weißen milchigen Sinnlichkeit. In seinen Träumen besucht der Dichter das Haus, um die milchweiße Hausherrin endlich zu unterwerfen, nicht wissend, dass er dadurch das empfindliche Gleichgewicht des Hauses zerstört und Zerfall und Auslösung initiiert.
Silke Andrea Schuemmer zeichnet in Remas Haus das fantastisch-irreale Bild einer unerfüllten Sehnsucht. Eine unglaubliche Liebe, die als schwärmerische Huldigung beginnt und mehr und mehr in Manie, Obsession und pathologischen Hass umschlägt. Vielleicht ist es gerade die morbide Schönheit dieser Metaphern, die einen gefangen nimmt und zugleich auch das Geschenk des Erkennens macht. Eine Erkenntnis über den Wahnsinn und die Monstrosität, die auch unseren eigenen Emotionen und Gedanken inhärent sind. "Wehren Sie sich nicht, auch wenn Ihnen die Sätze manchmal im Hals stecken bleiben, während Sie versuchen, sie wie üblich hinunterzuschlingen."
Fazit: Ein Buch, das es langsam zu lesen gilt, nicht nur damit es nicht allzu schnell zu Ende ist, sondern auch um sicherzugehen, von all den poetischen Absurditäten gänzlich ergriffen worden zu sein.

Buchkultur 105

Remas Haus

Olaf Velte in Am Erker Nr. 49, Münster, Juni 2005, auch online zu lesen

Mit dem ersten Satz beginnen. "Wie notwendig es ist, hier zu sein." Ein merkwürdiger und großartiger Satz, einer, der schon ein Geheimnis verspricht und die Tür öffnet. (...) Die Außenwelt sind wir, die Leser. Ausgehändigt bekommen wir die Schriftstücke von verluderten Schlampen, die den Dichter für diese Dienste büßen lassen: Auf ihr Geheiß müssen die Briefe verändert werden, die Übermittler wollen geleckt und befriedigt werden. (Wer denkt da nicht an das würdelose Gebaren des herrschenden Literaturbetriebs?) (...) Das Haus besteht aus Gesinde- und Herrenhaus sowie dem Stalltrakt - "der Hof selbst ist die Dreifaltigkeit". Hier soll Rema wohnen. Alles scheint aufgeweicht von dem nie versiegenden Milchfluss, der in der Milchküche verarbeitet wird. Ein Milchkoch ist unablässig mit dem Kampf gegen die Unreinheit beschäftigt.
Es ist ein surrealer Ort, ein Trugbild. Von Beginn an herrscht eine bedrohliche Atmosphäre (...)
Die Ausdruckskraft von Silke Andrea Schuemmer trägt durch die 160 Seiten ihres Romans Remas Haus, an keiner Stelle weicht sie von dem eingeschlagenen Weg ab. Eine faszinierende Geschichte, eine bestürzende auch. (...) Remas Hof, und das wird mit jeder Seite deutlicher, pulsiert wie ein lebender Organismus.
Silke Andrea Schuemmer führt ihren Dichter ins Reich der Wahnvorstellungen, woraus es keine Rückkehr gibt: "Es ist der gebrochene dritte Flügel des Engels, der halb in der Ebene vergraben von weitem wie ein Haus mit drei Trakten aussah". (...) Beide Bücher verdeutlichen eine Welt, in der Liebe keinen Platz mehr hat und nur aus der Erinnerung heraufsteigen kann (die Mutter und die Erd-Zwillinge in Remas Haus sind umglänzt von einer mythischen Aura). Gefühlskälte ist dort zu Hause, auch ein ungehemmtes Zweckdenken, dem alles zu Ware und Währung wird. Hinter Remas Haus formiert sich eine Gesellschaft funktionierender Automaten, ihre Beton-Bau-Lust bis in die letzten Naturzipfel treibend. Viele der Bilder, berührend in ihrer Intensität, wollen gelesen sein: Es ist die ausgezeichnete Lyrikerin, die hier aus ihren Quellen schöpft.
(...) Ein gutes Buch: Die poetische Vision darf sich ungehemmt ausbreiten, meidet rigoros den üblichen literarischen Trampelpfad. Und wieder stellt sich die Frage, ob es nur die Kraft der dichterischen Sprache noch vermag, von den wahren Defiziten unserer Welt zu erzählen. Und ihrer Überwindung.

Am Erker 49

Lothar Glauch unter satt.org, April 2005, dort auch komplett online zu lesen

Der Surrealismus lebt, zumindest in Silke Andrea Schuemmers Roman Remas Haus. Die Berliner Autorin zeichnet eine ebenso sinnliche wie apokalyptische Welt, in der poetische Absurditäten die Regel sind. (...) Die Geschichte, die in Remas Haus erzählt wird, ist ihrer Narration nach wenig romanhaft. Schuemmer bevorzugt das Assoziationsgeflecht, ihre Prosa erinnert an die Werke von Herta Müller, Elfriede Jelinek oder Marion Poschmann: Die Handlung tritt hinter das Behandelte zurück, das Wie ist entscheidender als das Was. Schuemmer zeichnet gewaltige Bilder, bringt Träume und Phantasmagorien zum Blühen. (...) Und mit Hilfe postmoderner Finten in der Narration gelingt es ihr immer wieder, die Erwartungshaltung des Lesers zu durchbrechen und neue Horizonte zu öffnen. So entsteht ein eigenwilliger Wortparcours, in dem der Leser sich ständig neue Wege suchen muss, um an sein Ziel zu gelangen. Bereits der Eingang in dieses Textlabyrinth ist furios: "Damit Sie mich richtig verstehen: Nicht nur die Möbel aus den unteren Stockwerken habe ich verbrannt, sondern den gesamten unteren Teil des Hauses. Außer einer morschen Stiege, die mich nicht mehr trägt, weil mein Kopf täglich schwerer zwischen die Schultern sinkt, ist nichts mehr übrig von dem Fundament, den Mauern oder Fluren. Es gibt nur noch mein Zimmer mit dem Fenster und eine halb verrottete, halb verbrannte Treppe." Der Ich-Erzähler lebt in seiner Ruine wie auf Abruf, hängt irgendwo zwischen Himmel und Erde. (...) Einzig die leichtgewichtigen Straßenmädchen ("leichte Mädchen" im wahrsten Wortsinn!) trauen sich die morsche Stiege hinauf und leisten dem Vereinsamten Gesellschaft. Sie sind es auch, die seine Briefe mitnehmen. Und diese Briefe nun richten sich direkt an den Leser. Er skizzierte seine Stadt derart grotesk, dass man in ihr eine Parabel für die ganze Welt ausmachen kann: Eine Welt, deren Zerstörung schon vor längerer Zeit stattgefunden hat, eine Welt, in der sich das Chaos längst als neues Ordnungssystem etabliert hat. Aber Schuemmer vermeidet es, Trübsal zu blasen. Ihr Ich-Erzähler gibt sich im Gestus wunderbar lakonisch oder verschmitzt. Die Welt als ein unbegreifbares, nachzivilisatorisches Ruinenlabyrinth zu skizzieren, gewinnt an Attraktivität. (...) Die Briefe des Erzähler-Ichs richten sich direkt an den Leser. So wird der Leser mit ins Geschehen einbezogen, es werden ihm ständig neue Intimitäten offenbart. (...) Schuemmer tut gut daran, sich auf die Eleganz ihrer Sprache zu konzentrieren, denn gerade in der Wortfindung beweist sie ihre Virtuosität. Remas Haus ist eine stilistische Augenweide. Die surrealistische Traumhaftigkeit und Weltferne wird durch die leuchtende Schönheit ihrer Wendungen zum Blühen gebracht. Silke Andrea Schuemmers Buch ist wie gemacht für opulente Tagträumereien.

Satt.org

Frank Schorneck über Remas Haus in Macondo Nr. 12, Bochum, Dezember 2004, auch unter titel-forum.de:

(...) Wie ein Fiebertraum überwältigt die elementare Kraft von Schuemmers Sprache den Leser, reißt ihn in einen Strudel des Phantastischen. Der Ich-Erzähler hat sich im oberen Stockwerk eines Hauses eingenistet, die unteren, verlassenen Etagen in Brand gesetzt, bis nur noch eine halb verrotete, halb verbrannte Treppe zu seinem Zimmer führt. Ihn selbst trägt diese Treppe nicht mehr, verlassen will er das Zimmer nicht. Einzig das Fenster ist ihm wichtig, ein Fenster, das ihm den Blick gewährt auf Remas Haus. In Briefen an einen unbekannten Adressaten, mit deren Übermittlung er ausgehungerte - im doppelten Wortsinn leichte - Mädchen betraut, erzählt er von seiner zwanghaften Liebe zu Rema. Seine eigene Lebensgeschichte enthüllt er dabei in bizarren Puzzlestücken. Da sind die Episoden seiner Lehrzeit bei einer heiligen Korbflechterin, deren vollkommenste Körbe keinerlei praktischen Sinn mehr erfüllen. Da ist die Geschichte seiner Mutter, die mit geschriebenen Worten Schmerzen und Wunden zu heilen vermochte. Da ist selbstverständlich auch die Episode mit dem sprach-losen Zwillingspaar. Und da ist immer wieder Rema, das Ziel seines ungezügelten Verlangens.
In kursiven Einschüben wird eine andere Perspektive eingenommen. Hier hat ein Dichter Remas Haus erreicht, das aus Herrenhaus, Gesindehaus und Milchküche besteht. Dieser Dichter, von dem man annehmen kann, dass er mit dem Erzähler identisch ist, versucht, in Remas Nähe zu gelangen, scheitert jedoch am Milchkoch. Insbesondere die Atmosphäre, die Schuemmer in den Passagen innerhalb von Remas Haus beschwört, quellen über von einer dampfenden, von Milch und Schweiß vollgesogenen Sinnlichkeit. Bilder von nahezu rauschhaft aufgeladener unterschwelliger Erotik (ohne dass explizit von Sexualität die Rede wäre) kippen unvermittelt in morbide Metaphern des Verfalls oder brechen sich gar in schockierender Gewalt Bahn.
Die manische Fixierung des Erzählers auf Rema ist durchzogen von unkontrollierbaren Gewaltphantasien. Die Erfüllung seiner Liebe sieht er darin, seinem geliebten Engel den dritten Flügel aus dem Kreuz zu reißen. Flügel, das ist eines der Hauptmotive dieses Romans, neben Milch und vor allem immer wieder der Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes. Worte können heilen und zerstören, können Brücken bilden und einreißen. Remas Haus wird dabei zu einem Gleichnis über die Sprache und das Schreiben selbst. (...)
Jeder einzelne Satz, jedes wohlgesetzte Wort schreien geradezu danach, laut über die Zunge zu gleiten, so klangvoll und lyrisch ist Schuemmers Prosa. Der Roman gleicht in diesem vollkommenen Klang den Korbflechtereien der Heiligen. So wie diese sich sträuben, die Funktion eines Korbes zu übernehmen, sperrt sich 'Remas Haus' dem Zugriff des rationalen Lesers - doch die überirdische Schönheit der Sprache lässt nüchterne Interpretierungsversuche vergessen. (...)

Titel-Magazin

Macondo Nr. 12

Das Magazin BÜCHER wählte in Nr. 1/2005 das Cover von Remas Haus zum "schönsten Cover" und schrieb dazu:

Silke Andrea Schuemmer zieht den Leser mit starken Bildern in die Geschichte eines Besessenen. Die Logik seiner Geschichte beschreibt dieses Cover. (...) Die Gestaltung macht uns vertraut mit einem schwierigen, aber gewaltigen Buch. Seine Geschichte begreift nur, wer sich auf die Logik des besessen liebenden Erzählers einlässt, seine starken Bilder wirken lässt, ohne gleich alles wissen zu wollen. (...) ertasten und entdecken müssen Sie es selbst, dieses Labyrinth einer wirklich durchdachten Arbeit.

Magazin Bücher 1/2005

Konsens. Information des Deutschen Akademikerinnenbundes e.V. Heft 3, 2004. Christa Mahrad: Bericht über die junge Schriftstellerin Dr. Andrea Schümmer, die Mitglied der Gruppe Berlin ist, und ihren Roman Remas Haus.

Die Autorin siedelt ihren Roman selbst sprachlich zwischen Lyrik und Prosa an. Remas Haus erklärt sie als eine sprachliche Trepanation, "ein Blick in den Kopf eines Schreibenden". Wie in verschiedenen anderen Erzählungen und Essays der Autorin spielen Familienbeziehungen in dem Roman eine Rolle, die bizarr und eigenwillig beschrieben werden.

Deutscher Akademikerinnenbund

Klenkes, Aachen, 1/1997: "Rückblick 96: Literarisches aus dem letzten Jahr"

Aber dann das eine, das ganz besondere, das es eigentlich noch gar nicht gibt, das aber trotzdem, schon in Aachen gelesen wurde, im Sommer bei den Lousberg-Lesungen: "Remas Haus". Eine eigentümliche Geschichte, "wahnsinnig spannend, obwohl nichts passiert", war der Kommentar einer Zuhörerin, als Silke Andrea Schuemmer ihren noch unveröffentlichten Roman am Lousberg vorstellte. Und das trifft die Sache, wenn auch nicht ganz, denn natürlich passiert etwas, mindestens ein Mord. Dabei ist "Remas Haus" alles andere als ein Krimi, eher ein Labyrinth, ein Spiegelkabinett, das scheinbar Reales mit Irrealem vermischt, verzerrt, verwandelt und das den Leser darin gefangennimmt und so schnell nicht wieder losläßt. So jedenfalls ist es mir ergangen, als ich zum ersten Mal das Manuskript in den Händen hatte. Nach gerademal anderthalb gelesenen Seiten spürte ich bereits dieses Ziehen, das einen in Sternstunden des Lesens packt, da war ich bereits auf dem besten Weg, der Magie der Worte zu erliegen. Einfach bestechend beispielsweise die minutiöse Beobachtung des Gesichtes der Mutter oder der wahnwitzige Traum des im Ei gefangenen Erzählers. (...) Hinter der realen Handlung in und der beobachtenden Beschreibung von Remas Haus ist der Roman eine hochartifizielle Betrachtung über das Schreiben selbst (...).

Klenkes

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